In der Einzelschau „graue_sinfonie“ zeigt Bernhard Paul erneut, welche Welten sich durch serielle Pinselstriche eröffnen können. Erstmals sind die Werke seiner neuen Serie „agens“ (lat. „treibend“) zu sehen. Die in Öl gemalten Bilder bestehen ausschließlich aus den Farbtönen Cyan, Magenta, Gelb, Schwarz und Weiß. Namensgebend bei dieser Serie ist der Versuch, während des Malvorgangs die Farben „ins Grau zu treiben“. Das Ergebnis ist ein Grau, das nie homogen ist, sondern gerade durch die Farbverläufe wirkt. Diesen Vorgang des Treibens wiederholt Paul immer wieder – so lange, bis das Bild für ihn die Qualitäten aufweist, die das Ende des Malprozesses bestimmen. Die konzentrierte Regelmäßigkeit der „Schlussstriche“ definieren die persönliche Bildsprache des Künstlers und sind in dieser Serie vertikal angelegt.

Das Prinzip der Serie begleitet Bernhard Paul durch seine gesamte Schaffensphase. Sowohl sein Œuvre an sich, als auch jedes Bild selbst ist seriell angelegt und folgt sich immer wiederholenden Prinzipien. In dieser systematischen Wiederholung und Variation der Pinselstriche entstehen Farbverläufe, Linien und Strukturen, die sich zu einem Takt oder Rhythmus entwickeln. Nicht verwunderlich ist es, dass Paul die Inspiration in der Musik sucht. Die Vertreter der sogenannten „Neuen Musik“ veränderten durch eine neue Herangehensweise, und die schrittweise Aufgabe der Dur-Moll-Tonalität bis hin zur Zwölftonmusik, die Wahrnehmung und Ästhetik der Musik. Bernhard Paul nimmt sich Komponisten wie Wolfgang von Schweinitz und John Cage als Inspirationsquelle für seine Malerei. Das Ergebnis ist allerdings keine Verbildlichung des Gehörten, vielmehr orientiert sich der Maler an der Sichtbarmachung von Dissonanz, Mehrdimensionalität, Flächigkeit und Tiefe.

Die Art und Weise wie die Pinselstriche und daraus entstehenden Farbspuren zu einer extremen Vielschichtigkeit führen sind besonders gut in den Arbeiten der Serie „softcades“ zu sehen. Durch die ineinander- und übereinandergesetzten breiten Farbspuren entsteht eine flächige Farbwirkung, die durch die gewählten Querformate unterstützt werden und den Eindruck des Ausschnitthaften verstärken. Auch die Serie „interlude“, inspiriert durch die Musik von John Cage, wirkt durch die Sichtbarmachung des Pinselduktus mehrschichtig. Mit parallel verlaufenden vertikalen Pinselstrichen wird Farbton für Farbton nebeneinander auf der Leinwand aufgebaut. Von einer grauen Fläche ausgehend streicht der Maler mit dem Pinsel bis zum Bildrand. So sind die Farbspuren mal mehr, mal weniger intensiv auf dem Bild zu sehen und ein bildhafter Horizont entsteht.

Die Bilder aus der Serie „modus“ fallen beim ersten Anblick aus dem Rahmen. Doch vielleicht verfolgt Bernhard Paul seine Ansätze gerade bei dieser von Wolfgang von Schweinitz inspirierten Serie am radikalsten. Die mit schwarzer Acrylfarbe auf unbehandelter Leinwand gemalten Bilder entsprechen einem „vermeintlich nachvollziehbarem Malvorgang“. Jeder Pinselstrich wird jeweils bis zum Bildrand durchgeführt. Die immer dünner werdende Farbspur lässt somit auch darunter liegende sich kreuzende Farbspuren sichtbar. Durch diese gerade verlaufende Pinselstriche entsteht ein Liniengeflecht, dem Bildtiefe, Eindrücke von Gleichgewicht und Ungleichgewicht sowie die Bildkomposition als Qualitätskriterien unterliegen.

Beim Malprozess reagiert Paul auf im Leinwandgewebe enthaltene Knicke und Falten, die das Bildmotiv und die Komposition beeinflussen. Was den Künstler dabei besonders reizt ist die Konzentration, in der sich der gesamte Malprozess steigert. Kein Pinselstrich kann rückgängig gemacht oder übermalt werden. Ein „ungünstig“ gemalter Pinselstrich kann nur durch weitere Pinselstriche abgelenkt oder umgedeutet werden.
Bernhard Paul schafft es, dass das Bild aus seiner Zweidimensionalität herauswächst. Nicht nur durch das Erschaffen eines Rhythmus‘ und einer Flächigkeit, die von Tiefe durchdrungen wird oder durch die Wahrnehmung eines Flirrens, das beim Betrachter entsteht, sondern vor allem durch die Offenlegung des Malprozesses an sich. Durch diese Nachvollziehbarkeit des Malvorgangs entsteht durch die Spur der Farbe eine weitere Ebene, die jenseits der bemalten Bildfläche liegt und Welten für den Betrachter öffnet.